Gegen Top-Favorit Baden-Baden gab es für die Schwäbisch Haller Mannschaft diese Saison ein 2-6, obwohl die Führung von Ernesto Inarkiev bis nach der Zeitkontrolle hielt. Danach kippte aber eine Partie nach der anderen in Richtung des Favoriten.
Jetzt mag sich der geneigte Leser fragen: was hat das Titelbild um Himmels Willen mit der Schachbundesliga zu tun? Die Auflösung ist einfach: ich weilte nicht als Zuschauer und Berichterstatter in Baden-Baden, sondern beim traditionellen Schnellschachturnier für Betriebsmannschaften bei der R&V-Versicherung in Wiesbaden. Gemeinsam mit Boris und Mario Meinel sowie Gregor Krenedics ging ich für die Bausparkasse Schwäbisch Hall ans Brett. Fotos aus Baden-Baden liegen mir noch nicht vor. Daher das Siegerbild aus Wiesbaden: die Mannschaft der R&V Versicherung verteilte keine Gastgeschenke und setzte sich gegen starke Konkurrenz durch. Unser Ergebnis war genauso durchwachsen wie das der Bundesligaspieler, es sprang ein Platz im hinteren Mittelfeld heraus, obwohl mein Ergebnis mit 4/7 an Brett 2 ganz ok war. Die Elo meiner Gegner bewegte sich irgendwo zwischen 2300 und 1500.
Beweisfoto aus Wiesbaden: Gregor, Boris, Mario und meine Wenigkeit
Daher beruhen diese Zeilen auf diversen indirekten Quellen. Ein erster Blick auf die Chess24-App zwischen zwei Runden gegen 14:00 ergab: Die absoluten Superstars Caruana, Anand, Aronian fehlten bei Baden-Baden, dafür flog Peter Svidler extra aus New York ein (er kommentiert dort die WM – wir sind gespannt, ob er zur morgigen 7. Runde pünktlich zurück sein wird). Allerdings machte ihm der Jetlag offensichtlich zu schaffen: schon nach knapp 2 Stunden musste er seine Partie gegen Europameister Ernesto Inarkiev aufgeben, in dessen Angriffswirbel er unterging. Kommentar von Mario Meinel gegenüber Boris’ Erstrundengegner in Wiesbaden, IM Johannes Carow: Svidler kam, sah – und verlor.
Gerade (Sonntag Morgen 6:00) erreicht mich die Nachricht: Svidler kommentiert gar nicht direkt aus New York, sondern aus dem Hamburger Chess24-Studio. Dann war er wohl nur müde, obwohl die Kontrahenten in New York am Freitag ja ein Einsehen hatten und schon nach 2 Stunden alles gewinnrelevante Material abgetauscht hatten, wonach sich die zunächst scharfe Stellung in Wohlgefallen aufgelöst hatte – das war wohl eine längere Vorbereitung von Magnus Carlsen, der für so etwas eigentlich nicht bekannt ist.
Nach dem Exkurs wieder zu Baden-Baden: hinter Svidler war Baden-Baden immer noch extrem stark besetzt: wenn Alexej Shirov und Arkadij Naiditsch and Brett 7 und 8 spielen, kann die Mannschaft nicht ganz schlecht sein.
Die Haller Führung hielt lange, die Partien Jakovenko-Wojtaszek und Postny-Vallejo Pons endeten relativ unspektakulär remis. Noch nach der Siegerehrung in Wiesbaden und zu Beginn der Rückfahrt nach Schwäbisch Hall führte Schwäbisch Hall 2-1, und die restlichen Partien standen alle noch zumindest okay. Da ich die Rolle als Fahrer übernommen hatte, lief der Informationsfluss im Auto (nach Ende der Fussball-Bundesligakonferenz) etwa so ab: Mario war per Facebook in Kontakt mit Harald Keilhack und Jana Zpevakova – Papa Pavel musste ganz kurzfristig für den grippekranken Frank Zeller einspringen. Kommentar Jana: “mir gefällt Papas Stellung (gegen Naiditsch) nicht”, Kommentar Harald: “passiv aber noch ganz ok”. Aus diesen Quellen kamen auch relativ viele “eigene” Stellungseinschätzungen, d.h. nicht nur ein Ablesen der Engine-Einschätzungen. Von hinten versorgte uns Gregor mit dem Neusten von Chessbomb: “Wenn er jetzt f5 zieht, ist die Bewertung statt -0,75 nur noch -0,21” “Er hat es nicht gezogen, jetzt steht es auf -0,68” oder “Oh, jetzt hat Cornette einen tiefroten Zug gemacht” – Chessbomb markiert Züge, bei denen sich die Bewertung der Stellung stark ändert, in rot. Materialverteilungen musste ich ihm immer aus der Nase ziehen, wie zum Beispiel: “Pavel hat übrigens schon die ganze Zeit einen Bauern mehr” oder “jetzt ist eine Qualität weg, aber der Computer sagt immer noch nur +0,75”.
Eins konnte man aber sagen: die restlichen Partien kippten samt und sonders in der Zeitnotphase in Richtung Baden-Baden, und nach der Zeitkontrolle war mehr oder weniger klar, dass sie wohl alle verloren gehen würden. Das trat dann auch ein – als ich während einer Toilettenpause gegen 19:00 einen Blick auf die Stellungen werfen konnte, waren die Messen bereits gelesen. Für den Rest der Fahrt versiegte dann der Informationsfluss etwas, Gregors Akku war leer. Aber die Entscheidung war gefallen. Am längsten wehrte sich noch Jean-Pierre Le Roux, musste dann aber auch gegen Landsmann Etienne Bacrot aufgeben.
Viel interessanter der Blick auf die anderen Begegnungen: Dennis Wagner gewann ein schwieriges Endspiel zum knappen Hockenheimer Sieg gegen Trier, Trier diesmal mit Ivantschuk, der auch gleich gewann. Solingen gewann in einem weiteren Spitzenspiel gegen Bremen. Im Abstiegskampf spielten Tegel und Bayern München 4-4. Die Schachspieler machten es besser als die Münchener Fussballer, die sehr zu Marios Verdruss in Dortmund verloren – Mario hatte schon vorher mit nur 1,5/7 in Wiesbaden keinen guten Tag gehabt, an der Erbsensuppe zum Mittagessen hat es aber sicher nicht gelegen. Aachen schlug Griesheim, im Duell zweier Youngster schaffte Griesheims Jugendbrett Vinzent Spitzl immerhin ein beachtliches Remis gegen den jüngeren van Foreest-Bruder Lucas. Den Vogel schoss aber Speyer-Schwegenheim ab, morgen Gegner von Schwäbisch Hall: die hochfavorisierten Dresdner wurden mit 5-3 geschlagen, und das bei einem mittleren Elonachteil von fast 200 Punkten. An den ersten 5 Brettern gab es satte 4 Punkte, es hätten sogar noch mehr werden können, wenn Nikita Meskovs gegen Livio-Dieter Nisipeanu nicht in Gewinnstellung Dauerschach zum Mannschaftssieg gegeben hätte. Elisabeth Pähtz war für Dresden diesmal nicht am Start, möglicherweise ging sie einem Duell mit Ehemann Luca Shytaj aus dem Weg, der gegen Mateusz Bartel gewann. Die Haller sind gewarnt, das Ergebnis war die erste faustdicke Überraschung der Saison.