Heimwochenende in den Logen des Optima-Sportparks
Hier unsere Schacharena vom letzten Wochenende, noch unberührt vom Tief Xanthos, das am Samstagabend und am Sonntag alles in Weiß hüllte. Den Spielern war`s egal, drinnen herrschte konzentrierte Schachatmosphäre, der Kaffee dampfte, Nachschub am Buffet ließen die (wenigen) fleißigen Helfer vom Schachklub Hall nie missen. (Bild: Gerd Densing)
Werder Bremen erweist sich als zu stark, Sieg über Mülheim
(von Frank Zeller)
Na bitte, was in Bremen möglich ist, geht auch in Hall! Schach wird in den Logen des Stadions gespielt, genau wie im Bremer Weserstadion. Wobei, na ja … der Größenvergleich könnte etwas drastisch gegen uns ausfallen. Jedenfalls durften sich die Gäste aus Bremen schnell im Spiellokal Optima-Sportpark heimisch gefühlt haben, selbst die Schalensitze sind in grün gehalten, wie auf obigem Bild unschwer zu erkennen.
Bremen trat am letzten Samstag dann auch favorisiert gegen uns Haller an. Überschneidungen mit vielen anderen Turnieren (siehe den Tagblatt-Bericht von Hartmut Ruffer) hinderten Harry Barg ein konkurrenzfähiges Team aufzustellen. Die Deutsche Hinterachse im Verbund mit der Tschechischen Mittelflanke durfte sich wieder mal bewähren. Doch ausgerechnet der Fahrer unter den Tschechen, Peter Michalik, laborierte an einer fiebrigen Erkältung!
Weihnachtsmarkt auf dem Markplatz vor St. Michael.
Betriebsausflug der Nikolaus-AG
Erschwerend hinzukam, dass ausgerechnet ein paar unserer Weißbretter von der tiefgründigen gegnerischen Vorbereitung torpediert wurden. So fühlte Alex an Brett 7 bereits starken Druck, nachdem sein Gegner die ersten 18 Züge im Benoni flott auf den Tisch brachte, einen Bauern opfert und im 19. Zug gar ein völlig verrücktes Figurenopfer servierte:
Alexander Raykhman – Jan Werle
Nach 19.Db3-a2:
21. …Sfxd5!?!?
Laut Computer eher ein fragwürdiges Opfer, doch am Brett saß der Schock tief. Werle meinte, der Rechner hätte ihm dies Opfer geflüstert, doch da war eher der Wunsch Vater des Gedankens, denn Stockfish und Co wollen erst mit …Kh8! das Opfer vorbereiten. Nach 22.Lc4 Sfxd5! hätte die Partiestellung erreicht werden können. Aufgrund der neuen Regelung werden die Paarungen bereits eine Stunde vor der Partie bekanntgegeben. Genug Zeit für Werle, noch eine Neuerung gegen die von Alex gern gespielte Lf4-Variante im Benoni auszutüfteln…?! Aber in der Eile kann es schon mal passieren, dass man bei den Suggestionen der Software einer Zugverwechslung erliegt! Psychologisch saß der Schock bei Alex jedenfalls tief.
20.Lc4?
Und die Wirkung stellt sich ein. Allerdings war es auch mehr als schwer zu sehen, dass Weiß nach 20.Sxd5 Le6 (…Txb2? 21.Sf6 Doppelschach und b2 ist ungedeckt!!) 21.Lc4 Txb2 22.Sxc7! die Dame für drei Figuren geben kann und hinterher sogar eher besser stehen soll.
20. …Kh8! Dafür nahm sich Werle ganze 25 Minuten Zeit – so sicher war er sich auch nicht mehr!
21.Lxd5
21. …Txb2!! Jetzt allerdings sind wir wieder in Bahnen, die auch die Maschinen begeistern.
22.Dxb2 Sxd5 Weiß hat einen ganzen Turm mehr, aber er verliert zumindest noch eine Figur. Und praktisch ist die Stellung so gut wie überhaupt nicht zu halten. Alex musste elf Züge später resignieren.
Alex noch zuversichtlich in der Eröffnungsphase
Auch am 8. Brett bekam Pavel baldige Probleme gegen Sven Joachims aggressives Königsindisch. Er verbrauchte viel Bedenkzeit, fraß einen „vergifteten“ Bauern auf d6, konnte gerade noch durch einige Abtäusche Schlimmeres verhindern, stand dann aber im damenlosen Mittelspiel sehr passiv. Nachdem sein Damenflügel verloren ging, stellte auch er die Uhr ab. Die Vorentscheidung im Match war damit bereits gefallen.
Der „kranke Peter“ hatte sich mittlerweile auf Remis verständigt – was ein äußerst respektables Ergebnis war: mit Schwarz, unfit, gegen den nominell besseren Romain Edouard.
Schwerer Kopf braucht Stütze: der kranke (nicht der schwarze) Peter (Bild: Hartmut Ruffer)
Auch Anthonys Weißpartie mündete bald in ein weiteres Remis.
Ein drittes Remis trudelte am 2. Brett bei Evgeny Postny ein: auch er wusste mit seinen Weißfiguren wenig Druck zu errichten, kurz vor der Zeitkontrolle war ein toter Punkt erreicht.
Aus zwei Weißpartien nichts herausgeholt, während zwei weitere ziemlich schnell in die Niederlage mündeten – mit einer 1:3-Weiß-Ausbeute ist einfach kein Staat zu machen! Liegt es daran, dass unsere Haller allesamt 1.d4 zogen?!
Blieben noch ein paar Nachziehende: Mathias stand lange Zeit ordentlich, kam aber nach und nach gegen den Bremer Tschechen Babula ins Hintertreffen. Auch die Flucht in ein Turmendspiel mit Minusbauern half nicht mehr, manchmal sind die halt doch verloren.
Eine lange Abwehrschlacht schlug Viktor am Spitzenbrett im sicheren Caro-Kann. Sein Gegner Areshchenko probierte alles, doch das Laznickasche Bollwerk erinnerte sehr an Prophylaxemeister Petrosjan:
Alexander Areshchenko – Viktor Laznicka
Nach 19.Tg1
19. …Tag8!?
Um den Weißen davon abzubringen, am Königsflügel mit g4 angreifen zu wollen.
Wenige Züge später waren bis auf Dame und König alle Figuren auf der Grundreihe angeordnet:
Kein Durchkommen – im 59. Zug stellte der Bremer seine Gewinnbemühungen ein.
Das Match war entschieden, doch immerhin sollte es noch einen Haller Ehrentreffer geben. Und ich kann Ihnen versichern, ich war froh, dass er mir selbst vergönnt war. Endlich ein Sieg für mich nach langer Durststrecke!
Die Schwarzpartie legte ich auf Sicherheit an, und bis über den 30. Zug hinaus spielte ich auf Ausgleich. Bei nahender Zeitnotphase begann mein Gegner unschlüssig zu agieren, während ich meine Stellung ausbaute. Im 34. Zug bot er mir Remis an, was ich zunächst im Hinblick auf meine Zeit annehmen wollte. Doch schon allein wegen des Mannschaftsstandes fühlte ich mich zum Weiterspielen verpflichtet, zumal klar war, dass ich ohne großes Risiko auf Gewinn spielen konnte.
Allerdings spitzte es sich dann ausgerechnet auf den letzten Zügen vor der Zeitkontrolle zu, und mein 38. Zug gab die Kontrolle ab – plötzlich stand es Spitz auf Knopf, beide Spieler waren knapp auf der Uhr und in einem Moment hätte mein Gegner einen sehr giftigen Freibauern bilden können:
Alexander Markgraf – Frank Zeller
Nach 39. …Te6
Bei sogleich 41.g6! hxg6 42.h6 hätte der gefährliche Freibauer mir eine Figur und womöglich auch die Partie kosten können. Markgraf zog „materiell“ 40.Tb7? und erst nach
40. …Kg4! 41.g6 hxg6 42.h6, aber nun hatte ich …Sf5! für meinen Springer zur Verfügung, zudem droht die Entlastung …Sxc1+ nebst …Kf3. Nach 43.h7 Te8 gab es nichts Besseres für ihn als die Abwicklung 44.h8D! Txh8 45.Sxe5+ Kh5 46.Txb5, aber nach …Te8! war Weiß in eine unangenehme Fesselung geraten:
47.Kf3!? (Kd1! war sicherer) …g5 48.Td5? Um …Sd2+ zu verhindern, doch nun wird Weiß wieder in eine Fesselung getrieben, und die entpuppt sich als tödlich. Mit 48.Kg2 konnte Weiß noch überleben.
48. …Sh4+ 49.Ke4 Sg6!
Sehr unangenehm. Kf5? scheitert an …Se7+. Weiß kann die Abwicklung in ein verlorenes Springer- oder gar Bauernendspiel nicht mehr aufhalten. Der Bremer schafft es nicht mehr, maximalen Widerstand zu leisten.
Endphase… schon lange dunkel. Mein Gegner wirkt nicht mehr zuversichtlich, noch hätte 54.Kf5! Remischancen bewahrt.
Deizisau war auch dabei
Vincent Keymer in Aktion. Das junge Talent kämpfte mit wechselndem Schlachtenglück. Wertvolle Tipps gab ihm hinterher – eventuell auch vor den Partien – sein Teamkollege Peter Leko. Auch der war mal ein (durchaus größeres) Wunderkind. (Bild: Gerd Densing)
Der 13jährige Peter (Bild GH Hund, wikipedia)… und in der Gegenwart in Hall beim Interview mit Grenke-Chess
Zwei Männer im Schnee: Teamchef Sven Noppes chauffiert Starspieler Leko in Sicherheit. Noppes ist eine „gespaltene Persönlichkeit“. Am Samstag noch in Baden-Baden mit Herzblut
beim Beobachten seiner Startruppe fuhr der Schachmanager mit Mehrfachbelastung trotz hohem Schneeaufkommens nach Hall, wo er weitere illustre Schäfchen betreuen konnte.
Reisepartner Deizisau zeigte sich am Wochenende mit mehr Prominenz als wir Gastgeber, machte seine Sache aber auch nicht viel besser, wenngleich der Kampf gegen Bremen bis zuletzt sehr eng und spannend blieb. Am Schluss blieben die Grünweißen mit 4,5:3,5 siegreich.
Zum Wochenendabschluss stand für uns Hausherren eine Pflichtübung an: Mülheim war sehr ersatzgeschwächt an den Kocher gereist, da musste ein Sieg her!
Und so sollte es auch geschehen, wobei – offen gesagt hatten wir einiges Glück beim 5,5:2,5 Sieg. Es hätte durchaus knapper hergehen können!
Zunächst zeigte der Kampf eine durchaus häufig zu beobachtende (Un-)Sitte der Bundesliga. Die Spieler spielen vor allem auf Sicherheit und sind einem frühen Remis nicht abgeneigt, insbesondere am Sonntagmorgen: da muss man früh raus, was den meisten Schachspieler als bekennende Morgenmuffel nicht schmeckt. Oft ist am Sonntag bisschen die Luft raus, weil man eventuell
a) am Vortag verloren und noch frustriert ist
b) schlecht geschlafen hat
c) man noch heimkommen will/muss und man deshalb lieber möglichst früh den Rückreiseweg antreten will, insbesondere, wenn wie am Sonntag ein Schneesturm über der Region und halb Mitteleuropa liegt.
Vier Partien wurden so ziemlich ohne Aufreger nach vollendetem 20+ -Zug remis gegeben. Verwunderlich dabei, dass der Mülheimer Felix Levin mit Mehrbauern gegen unseren Evgeny einfach so Remis anbot! Dabei war doch absehbar, dass sein Team jeden halben Punkt dringend benötigen würde!
Ausgerechnet der arme Peter, der noch fiebrig die Heimfahrt nach Prag antreten wollte, musste in die Verlängerung gehen und bis ins Endspiel ums Remis kämpfen. Das war hochverdient und ein Kraftakt von unserem Mann, doch auch dies ein Beispiel, in dem vielleicht mehr für unsere Gegner drin gewesen wäre.
Auch bei unseren drei Gewinnpartien gab es kritische Momente, in denen wir Luft rein ließen.
Nur ein Haller Sieg war aller Zweifel enthoben, und dies war zugleich mein zweiter Sieg an diesem Wochenende:
Frank Zeller – Mees van Osch
Nach 17. …a5
Das war aus der Petrosjan-Variante im Königsinder entstanden. Für meinen Geschmack hatte mein jugendlicher Gegner seine Dame zu weit von seinem König entfernt, das schrie nach Bestrafung:
18.Tf5! Kg7 19.Txh5! Kostet die Qualität, die Weiß gern investiert.
19. …Sf6 20.Txh6 Kxh6 21.Dd2+ Kh7
Diagramm zum Bild
22.c5! Um die schwarze Mitte aufzubrechen und die weißen Leichtfiguren zu aktivieren.
22. …Dd8 Bei 22. …dxc5 23.Dg5 fällt e5, was dem Ld3 glänzende Aussichten verschafft.
23.Tf1 Tg8?
Das macht den Sf6 unbeweglich und setzt überhaupt seine ganze Armada patt. 23. …Se8 nebst …f6 war notwendig. Mir gefiel vor allem mein nächster Zug, der die weiße Dominanz auf ALLEN Brettabschnitten unterstreicht:
24.Sa4! dxc5 25.Sb6! Totzdem!
25. ..c4 Verzweiflung.
26.Sxc4! Ich wollte ohnehin nach c4 – der Turm ist egal! Fehlt der Bauer auf e5, bricht die schwarze Verteidigung in sich zusammen.
26. …Sd7!? 27.Txf7+ Tg7 28.Tf5 De8 29.dxc6 bxc6 30.Sd6 Dg6
31.Tg5! Df6 Denn nach 31. …Dxd6 32.Th5+ Kg8 (…Kg6 33.Th6+) gewinnt der Abzug 33.Lc4+ die Dame. Oder 31. …Dh6 32.Sf5
32.Th5+ Kg8 33.Lc4+ 1–0
Das lief gut rein und war eine schwungvoll gespielte Angriffspartie wie in alten Zeiten
Der dramatische Höhepunkt des Kampfes ereignete sich am 1. Brett. Dort war unser Viktor klarer Favorit gegen den Mülheimer Thomas Beerdsen. Mit Weiß schaffte er es auch, sich leichten Vorteil zu sichern und man erwartete einen „normalen“ Gang der Dinge, doch ließ unser Philosoph, der nonchalant einen dicken Wälzer über Sophistik neben das Brett legte, in aufkommender Zeitnotphase viel zu viel Gegenspiel zu – plötzlich hatte Schwarz starken Angriff:
Viktor Laznicka – Thomas Beerdsen
Nach 35. …Dg5!
Plötzlich drohen unangenehm …f4 und …Sh4+.
36.f3!? Sicherer war 36.Tc1, aber nach 36. …f4! 37.Txb1 fxe3 kann Weiß kaum mehr gewinnen.
36. …Sh4+ 37.Kf2 Th1!
Jetzt wird’s ernst! Der Springer ist tabu, h2 fällt. Nur keine Panik …
38.Lf4? Verständlich, aber das erlaubt einen versteckten Trick. 38.Dd3 war notwendig und sollte wohl in Zugwiederholung oder Dauerschach enden. Sollte.
38. …Txh2+ 39.Kg1 Der dramatische Höhepunkt des Matches ist erreicht:
39. …Tg2+
Pech für Berdsen, dass dieser automatische Zug auch noch verliert! Bei 39. …Dh5 40.gxh4 Txh4 sollte zumindest ein Remis für Schwarz rausspringen. Es gab aber auch einen Zauberzug: 39. …Sxf3+!! 40.Txf3 Dh5! hätte gewonnen, der weiße König erliegt dem konzentrierten Angriff, etwa bei 41.g4 Th1+ 42.Kf2 fxg4 43.Tg3 Tf8 mit Vernichtung.
40.Kh1! Dg6 Bei 40. …Dh5 41.gxh4 Tg6 ist ebenfalls 42.De1! der Rettungsanker.
41.De1! Alles gut! Das hält den Laden zusammen, so dass die schwarzen Figuren sich verlaufen haben. Viktor gewann Material, bald auch die Partie und entschied somit dem Kampf zugunsten Halls!
Gerade noch mal gut gegangen! Rechts von Viktor auf dem Tisch die schwere Lektüre
4,5 Punkte waren unter Dach und Fach, doch Pavel musste noch in die Verlängerung. Ungern tat er das nicht, besaß er doch einen Mehrbauern im Turmendspiel. Unser Routinier wollte zu gern auch mal gewinnen, nachdem ihm bislang nur Remisen glückten. Und es gelang! Das hatte Pavel sich auch redlich verdient – von frühester Eröffnung an behauptete er im Katalanischen einen Mehrbauern. Dann ließ er etwas die Zügel locker und ein typisch remisiges Turmendspiel entstand:
Valentin Buckels – Pavel Zpevak
Nach 39. …a5
40.Ta7? Der ominöse 40. Zug! Sieht absolut unverdächtig aus, ist aber der wohl schon entscheidende Fehler, der es Pavels König gestattet, sich aus der Umklammerung auf h6 zu lösen. Richtig war 40.Tf8! (verhindert …g6 und ermöglicht nachher ein Schach von der Grundreihe aus) 40. …a4 41.Ta8 g6 42.hxg6 Kxg6 43.Tg8+ mit Remisstellung.
40. …g6! 41.hxg6 Kxg6 42.Ta6 Weiß kann nur ungenügend der Drohung …h5 begegnen. 42.f4 h5+ 43.Kh4 Ta4.
42. …h5+ 43.Kh4 Txf3 44.Txa5 Te3 45.Ta4 Te2 46.Kh3 Kg5
47.Ta8 Ein Dilemma für Buckels. Ein weiterer Bauer geht verloren. Bei 47.Tb4 Te3 droht …h4, und 48.Kg2 erlaubt …Kg4. 48. …Txe4
Der junge Mülheimer wehrte sich noch lange, aber vergeblich. Gratulation an unseren treuen Pavel!
Meister der 16 Bretter: Übertragungs- und Blindexperte Marc Lang