Karpows erste Bundesliganiederlage
Wenn mit Rainer Buhmann und David Baramidze zwei deutsche Spitzenspieler aus dem Nationalkader an den Brettern 7 und 8 sitzen, spricht das für die Stärke von Hockenheim. Mit einer bärenstarken Truppe präsentierte sich der Vizemeister bei Optima Consumer in Hall. Am Spitzenbrett der Rennstädter saß einer, der zwar mittlerweile nicht mehr eine ganz so hohe Elozahl aufzuweisen hat, aber jahrzehntelang unzählige Spitzenturniere gewann und Schachgeschichte als Weltmeister schrieb: Anatoli Karpow. Und mit Baadur Jobava sowie Ruslan Ponomariov waren noch weitere Stars im Aufgebot, letzterer war auch schon Fide-Weltmeister. Doch unsere Spitzenmänner zeigten ihre Krallen und entschieden die vorderen Bretter für sich!
Am meisten Aufmerksamkeit genoss gewiss dieses Duell – fast 40 Lebensjahre stehen zwischen den Kontrahenten:
A. Karpow (2626) –
Li Chao (2741)
Grünfeldindisch [D85]
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 d5 Freilich Grünfeldindisch! Das war auch immer Kasparows Hauptwaffe in unzähligen WM-Schlachten gegen Karpow.
4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sxc3 6.bxc3 Lg7 7.Da4+ Ein ungewöhnliches Schachgebot. Offenkundig wollte der Routinier Li Chao aus den Hauptlinien bringen.
7. …Sd7 8.Sf3 0–0 9.Le2 Sb6!? Eine ungewöhnliche Entwicklungsart statt …c5.
10.Da5!? Damit war endgültig Neuland bestritten. Beide zogen noch relativ flott, doch die nächsten drei Züge Karpows sind allesamt fraglich.
10. …Ld7 11.Tb1!? Lc6 12.e5!? Le4 13.Tb2?!
Andere Turmzüge waren besser, etwa 13.Tb5!? mit der Idee …a6 14.Tb2, wonach Schwarz nicht mehr den c-Bauern ziehen kann.
13. …c5! Bricht das weiße Zentrum auf und übernimmt die Initiative.
14.0–0 14.Dxc5 Sa4 oder 14.dxc5 Sd7 und das weiße Zentrum ist zerschlagen.
14. …cxd4 15.cxd4 Lxf3 16.Lxf3 Dxd4 17.Lxb7 Sc4 18.Da4 Tab8 19.La6 Txb2 20.Lxc4 Lxe5 20. …Tb7?? 21.Lxf7+. 21.Lxb2 Dxb2 22.Dxa7 Tc8 23.Lb3 Ld4!
Remis wegen der ungleichfarbigen Läufer, dachten die Kiebitze. Doch so einfach ist es nicht. Ohne Damen wäre es remis, so aber kann Schwarz noch auf Angriff spielen, der Turm f1 ist zur Passivität verdammt und der weiße König hat einen Bauern weniger als Schutzschild. Sofort würde 24.Dxe7?? Dxf2+!! verlieren.
24.Da6 Tc5 25.Dd3 Kg7 26.g3 h5 27.Kg2 e6 28.Db1 Dc3 29.De1 Dd3 30.Db1 De2 31.Dd1 De5 32.h4 Tc3 33.Te1 Dc5 34.De2 e5 35.Kf1?
Ein Fehler in schwieriger Verteidigung – der andauernde Druck, den der trickreiche Li Chao auf seinen älteren Gegner ausübte, machte sich letztlich bemerkbar.
35. …Dc6! 36.De4 36.Kg1 scheitert an 36…Txg3.
36…Df6! 37.Dg2 Lxf2! 38.Dxf2 Tf3 Mit der Kombination gewinnt Schwarz die Dame für Turm und Läufer – das reicht zum Gewinn.
39.Te2 Txf2+ 40.Txf2 Da6+ 41.Kg2 f5 42.Td2 Kf6 0–1
Stark und makellos von unserem Li Chao gespielt, der nach langer Abstinenz wieder mal in Hall aufschlug, und schon wieder für Schlagzeilen sorgte.
Auch unser amtierender Europameister Maxim am zweiten Brett konnte mit einer positionellen Glanzpartie überzeugen:
GM M. Matlakov (2730)
GM B. Jobava (2705)
Nach 23.f4
23. …e5 24.f5! e4? Lässt den Springer temporeich nach e6. Besser sieht …g5! aus.
25.Sf4 g5 26.Se6 Db8 Maxim meinte, dass Jobava erst hier auf Abwege gekommen wäre. Er sollte mit …Dc8 nebst …Txe6! die Qualität für Gegenspiel geben.
27.De1 Lh6 28.Th2 Sd8 29.hxg5 Lxg5 30.Sxg5! Gibt den schönen Springer her, weil er bereits erkennt, dass sein momentan noch schlechtstehender Läufer auf die Dauer den gegnerischen Springer dominieren wird.
31. …fxg5 31.Kg2 Sf7 32.Tfh1 h6 33.Lc3 Dc7 34.Th5 Kg7 35.Dg1 Th8
36.Le1 Th7 37.Lg3 Dd8 38.Dh2 Kg8
39.Tb1! Wendet sich dem Damenflügel zu, wo es noch einen Bauernhebel gibt. Allein auf einer Seite reicht es oft nicht zum Gewinn.
39. …Ta6 40.Lc7 Dc8 41.b4! axb4 42.Txb4 Da8 43.a5! Schwarz wird völlig eingeschnürt.
43. …Th8 44.Dg3 Kh7 45.Th1 Te8 46.Thb1 Ta7 47.Dh2 Te7 48.Ld6 Td7 49.Dh5 Dg8 50.Le5 Te7
Jobava gab auf, ohne den weißen Zug abzuwarten. Weiß gewinnt, indem er sogleich oder später mit a6 aufhebelt. Ein bezeichnendes Beispiel: 51.a6 Sxe5 52.dxe5 bxa6 53.Th1! Df8 54.Tb8! 1–0
Eine ausgezeichnete Partie unseres jungen Mannes aus St. Petersburg, der derzeit von Triumpf zu Triumpf zu eilen scheint und bald auf 2750 Elo klettern könnte!
Zwei tolle Siege an den Spitzenbrettern, zudem zwei solide Remisen an Brett 3 und 4 durch Viktor und Tigran – es „roch“ nach einer Sensation in Hall. Doch leider konnte sich die Hintermannschaft Halls an diesem Tag nicht gegen die von der Zahl her übermächtigen Gegner behaupten. Chancen waren durchaus vorhanden, ein, zwei mögliche halbe Punkt wurden „weggeworfen“. Ich meine damit folgende Szenen in den Partien der „Hinterbänkler“:
Rainer Buhmann (2561) – F. Zeller (2371)
nach 8. …Sg4-f6:
Nanu, was ist denn das? Najdorf mit …h6? Kann es sein, dass Schwarz einen Zug mehr gemacht hat, quasi das „Doppel-Eselsöhrchen“ …a6 + …h6 auf einmal? Die Lösung des Rätsels liegt in der merkwürdigen Zugfolge 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 (normaler Najdorf!) 6.Le3 Sg4 7.Lg5 h6 8.Lc1!? Sf6 Rainer B. hat mir ein Tempo (…h6) geschenkt, um nachzuweisen, dass dies eher als eine Schwächung anzusehen ist (xg6, eventuell könnte bei …0-0 das Opfer Lxh6 gehen).
Nach 9.Lc4! e6 10.Lb3 musste ich erstmals tief nachdenken:
Weiß spielt den Fischer-Angriff, den ich als Weißer selbst seit beinahe 35 Jahren spiele – doch da steht der Bauer immer auf h7! Ich kramte tief in meinen Erinnerungen und versuchte herauszufinden, wann …h6 sinnvoll für Schwarz ist. Nachteile sah ich sogleich: in der Stellung mit dem Bauern auf h7 gilt …Sb8-d7-c5 als ausgezeichnet für Schwarz. Doch analog wäre nach 10. …Sbd7 11.f4 Sc5 plötzlich 12.e5! sehr stark mit der Pointe 12. …dxe5 13.fxe5 Sfd7 14.Sxe6!, da ein Schach auf h5 nicht mehr durch …g6 pariert werden könnte.
Das Spiel komplizierte sich rasch und die Spannung kulminierte nach 10. …Sc6 11.f4 Le7 12.Le3 Dc7 13.Df3 Sa5 14.0-0 b5!?
Klar, dass Weiß nun losschlagen musste, sonst übernimmt Schwarz mit …Lb7/b4 das Kommando. Ich befürchtete 15.e5! Lb7 16.Dg3, wonach Schwarz ziemlich aufpassen muss, zumal hier immer Sxe6 nebst Dg6+ droht (wieder ein Nachteil von …h6!). Wir hatten mittlerweile beide schon viel Zeit verbraucht, und Rainer entschied sich überraschenderweise für 15.f5!?, was ich für schlecht hielt und worauf ich eigentlich a tempo …e5 spielen wollte. Doch wenn er schon … dann muss er sich was dabei gedacht haben!?!
Will er eine Figur auf f7 opfern, auf e6 oder d5/d4? Kann ich andrerseits verbessern und zunächst …Sxb3 oder …b4 ziehen? Das kostete alles viel Energie und Zeit, so dass ich mich erst nach 20 Minuten zum ohnehin beabsichtigten 15. …e5! durchringen konnte. Rainer opferte daraufhin tatsächlich in der Form 16.Sd5!? Sxd5 17.Lxd5 exd4 18.Lxd4
Nun drängt sich 18. …Lb7 auf, doch hat Weiß mit Lxg7, f6 oder gar Lxf7+!? drei Züge, die er in verschiedener Weise kombinieren kann. Schwer, diesen Wust der Varianten zu überblicken. Auch bei der gemeinsamen Analyse mit meinem Gegner hinterher erschien alles unklar, wir kamen zum Schluss, dass Weiß jedenfalls viel Spiel hat. Die Rechner sehen dies freilich nüchtern und glauben nicht an ausreichende Kompensation!
Am Brett entdeckte ich eine andere, attraktive Möglichkeit, den Angriff durch Hergabe der Qualität „abzubremsen“. Diese Idee gefiel mir, möglich, dass mein Gegner diese Möglichkeit nicht bedacht hatte und die Initiative auf mich übergehen könnte, doch das stellte sich als Wunschdenken heraus – ich übersah im Vorausberechnen eine entscheidende Doppeldrohung:
18. …Lf6? 19.Lxf6 gxf6 20.Lxa8 Da7+ 21.Tf2! Dxa8
Wäre Schwarz am Zug, könnte er den Springer nach e5 überführen, wonach mit einem Schlag alles harmonisch stünde und Schwarz die besseren Aussichten hätte. Doch leider wird beim Schach abwechselnd gezogen, und mittlerweile war mir aufgegangen, dass 22.Dc3! den kostbaren Befestigungsbauer f6 gewinnt; nach 22. …Sc4 23.Dxf6 Tg8 24.b3! stand ich plötzlich vor einem Dilemma: wie soll ich den Bd6 halten, der dem Springer e5 sichert? Mittlerweile waren wir beide auf wenigen Minuten runter, und ich erspähte eine Kombination – doch auch die wies wieder ein großes Loch auf:
24. …Dxe4??
So dumm war`s nicht, die Pointe lautete 25.bxc4 Lb7 26.Kf1 (sonst wird Weiß matt) …Txg2 27.Te1 Tg1+! mit Dauerschach. Doch wiederum: als ich hoffte, meinen Gegner überlisten zu können, zeigte dieser, dass er weiter gerechnet hatte.
25.Dc3! Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen – nach 25. …Lb7 26.Te1 Txg2+ 27.Txg2 konnte ich nicht, wie geplant, mit 27. …Dg2!?!?! mattsetzen, die Dame war ja gefesselt!
1:0
Verzeihen Sie mir, dass ich dieses persönliche Erleben so ausführlich schildere! Der Bessere hat gewonnen, vielleicht war es deutlicher, als es sich für mich anfühlte … zumindest fand ich die Partie sehr interessant, kurz, aber knackig.
Und noch ein Nachtrag: tatsächlich fand ich zur vorletzten Diagrammstellung einen Vorläufer – mit dem Bauern auf h7!
Adorjan – Ribli, Ungarn 1969
19.Dc3! dieselbe Kombination, Adorjan widerlegte sie ebenfalls mit dem Doppelangriff. Ribli verteidigte zäher, verlor am Ende aber dennoch. Hier bewies Adorjan, dass auch „White is okay“ gilt!
Seltsam, dass schon im Jahr meiner Geburt Leute exakt das gleiche dachten wie Rainer und ich im November 2017, fast ein halbes Jahrhundert später …
Ein klareres Geschenk in der Zeitnotphase machte da schon Matthias W. :
M. Womacka (2434) – I. Saric (2662)
Nach 34. …Txh4
Ein kompliziertes Doppelturmendspiel ist entstanden, in dem der Schwarze auf die Zeitnot des Weißen spekulierte. Wenn, dann steht eher Weiß besser, aber Ungenauigkeiten sind hier schnell passiert:
35.Tdd7?! Hinterher konnte sich Matthias nicht erklären, warum er nicht sogleich 35.f7 gespielt hatte, wonach Schwarz mit …Tf8 den Turm passiv stellen müsste.
35. …Kg5 36.f7 Th3+ 37.Kg2 alle anderen Königszüge waren vielleicht einfacher gewesen.
37. …Kg4
38.Td2? Zu passiv in Zeitnot. Es ging 38.Tc7!, da nach 38. …f3+ 39.Kf2 (39.Kf1? Kg3) 39. …Th2+ Weiß 40.Ke1! hat (nicht 40.Kf1? Kg3), worauf Schwarz am besten mit 40. …Th1+ 41.Kf2 Th2+ Zugwiederholung anstreben sollte.
38…Tf8 Nun war es nicht mehr leicht, die Partie für Weiß zu halten, und Matthias, auf die falsche Spur geraten, konnte den Abwärtstrend nicht mehr aufhalten.
Glück gegen Hofheim
Fast hätten wir gegen den Aufsteiger Hofheim Federn gelassen. Der knappe 4,5:3,5 Sieg kam nur mit einer Riesenportion Glück zustande. Völlig unerwartet die Schwierigkeiten, die unser sieggewohnter Maxim M. mit dem deutschen Jungtalent Thore Perske hatte. Der 18jährige Hofheimer, das muss man aber auch betonen, zeigte eine großartige Leistung und verblüffte mit seinem positionellen Opfer von Qualität und Bauer:
T. Perske (2443) – M. Matlakov (2730)
Nach 17. …Sxf5
18.Txf5!! exf5 19.e6! Dxe6 20.Lf4
Die schwarzen Figuren sind von den eigenen Bauern in ihrer Wirkung blockiert, Lg7 und Sd7 finden keine Verwendung. Und das wichtige Feld e8, um die Türme zum Einsatz zu bringen, wird vom Lh5 kontrolliert. Maxim überlegte ein paar Minuten und entschied sich zu einem Gegenopfer, um die Struktur zu verändern:
20. …Se5!? Aus ähnlichen Gründen kam Tae8! in Frage.
21.De2! Db6? Dabei muss sich Maxim verrechnet haben. Offenbar war es nicht sein Tag. Morgens bei der Abfahrt vom Hotel fanden sich alle im Mannschaftsbus wieder – alle bis auf Maxim! Wir mussten erst nach ihm fahnden, wach war er wohl schon, aber nicht gerade fit! Nun ja, bekanntermaßen sind die Schachsuperstars allesamt Morgenmuffel…
Unser St. Petersburger sollte einen ganzen Turm geben: 21. ..Tae8! 22.Lxe8 Txe8 23.dxe5 fxe5 mit ausgezeichnetem Gegenspiel durch die Mittelbauern.
22.dxe5 fxe5 23.Lxe5! Muss er unterschätzt haben.
23. …Tae8!? 24.Lxe8 Txe8 25.Sf3 Dxb2 26.Lxb2 Txe2 27.Lxg7 Kxg7 28.Tc1 Weiß besitzt eine Mehrfigur. Es ist zwar technisch aufwändig, und Maxim wehrte sich noch stundenlang. Die Niederlage konnte er letztlich nicht abwehren.
Glückwunsch an seinen Gegner! Wie nur kam Perske nur auf das „geniale“ Positionsopfer? Das Motiv kam mir irgendwie bekannt vor. Ich suchte in den Datenbanken und wurde nach einigem Aufwand fündig. Dieses hatte ich letztes Jahr mal zufällig gesehen:
E. Hansen (2582) – Y. Gonzalez Vidal (2553)
Olympiade Baku 2016,
nach 17. …Sxf5
Der Unterschied: statt Kh1 (Perske) war hier Sf3 gespielt.
18.Txf5!! exf5 19.e6! Dxe6 20.Lf4 Se5! 21.Sh4! Er will die Figur gar nicht! 21. …Sc6 22.Dd2 Tae8 23.c3! Und die Qualität will er auch nicht zurückgewinnen!
23. …De4 24.h3 Tf7 25.Df2 Tfe7 26.Dg3 Td7 27.Lg6! Sd8 28.Sxf5 De6 29.Lxh6 Tee7 30.Lxg7 Txg7 31.Te1 1–0 Eine Wahnsinnspartie! Offenbar kannte sie Perske. Die jungen Leute sind heutzutage eben gut informiert und in der Lage, Wissen aufzunehmen und anzuwenden. Das soll seine Leistung nicht schmälern, es war ein großartiger Sieg über einen Weltklassemann!
Teamchef Harry B. ahnt, dass Maxim bald getröstet werden muss …
Li Chao holte trotz der weißen Steine gar nichts gegen das andere Jungtalent Hofheims, Großmeister Jan-Christian Schröder, heraus. Als Schröder Remis anbot, stand Schwarz schon angenehmer.
Eine weitere Enttäuschung bedeutete Tigrans Partie, vor allem für ihn selbst. Er hatte sich in einem typischen Najdorf einen handfesten Vorteil erspielt, doch er zauderte und verpasste einen guten Moment:
B. Margolin (2376) – T. Gharamian (2626)
Nach 24.h4
24. …Dc8 Das beschäftigte unseren Franzosen mit armenischen Wurzeln noch lange. Er konnte sich nicht zu 24. …Lxa4! 25.Txa4 Sd7 durchringen, obgleich ihm klar war, dass Schwarz dann Vorteil besaß – er wollte eine noch günstigere Version erreichen! Doch nach 25.Sc3! tanzte der Springer weg, und bald musste er ihn zu ungünstigeren Konditionen auf d5 tauschen. Es ergab sich alsbald eine remisige Stellung mit ungleichen Läufern.
Ebenfalls ins Remis mündeten die Partien von Matthias und Pavel. Wo waren denn nur die Siege zu holen? Okay, endlich gab es gute Nachrichten auf Haller Seite zu vernehmen, denn die drei verbliebenen Partien schauten alle recht vorteilhaft für die Hausherren aus, also doch noch der Matchgewinn drin?
Völlig unklar erschien mir zunächst diese Position bei Jewgeny P.:
J. Postny (2569) – Zude,E (2402)
1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e4 Sf6 4.e5 Sd5 5.Lxc4 Lf5 6.Db3 c6 7.Lxd5 cxd5 8.Dxb7 e6 9.Dxa8 Db6
Es schien mir so, als wäre Jewgeny in eine vorbereitete Variante gelaufen. Wahrscheinlich würde er die Dame gegen den zweiten Turm geben müssen, und dann würde die schwarze Dame wichtiger als die beiden weißen Türme sein. Doch wenige Züge später war der Spuk bereits vorbei und Jewgeny behielt deutlichen Materialvorsprung. Es verhielt sich diametral anders herum: Erik Z. war ihm direkt in eine Variante gelaufen! Doch die war nicht speziell für diesen Tag vorbereitet – Jewgeny erzählte, wie er das Schnellschachmatches seines Mannschaftskollegen Ernesto Inarkiew gegen Boris Gelfand live im Internet verfolgte, und Ernesto mit diesem Turmopfer aufwartete und schließlich Gelfand besiegen konnte! Schon während der Partie beschlichen Jewgeny ernste Zweifel an der Korrektheit des Turmopfers und er analysierte die Verbesserung…
10.Se2! 10.Sc3 Lb4 11.Sge2 0–0 12.0–0 Sc6 13.Dxf8+ Kxf8 14.Le3 Lxc3 15.Sxc3 Dxb2 und später 0–1 in Gelfand (2729)- Inarkiev (2702), Nazran 2017.
10. …Ld3 Weiß findet immer Zeit, seinen Springer rechtzeitig auf d5 zu opfern, um der Dame ein Fluchtfeld zu ermöglichen. 10…Lb4+ 11.Ld2 Lxd2+ 12.Sxd2 0–0 13.Tc1 oder 10. …Le7 11.Sbc3 0–0 12.Sxd5 exd5 13.Dxd5.
11.Sbc3 Lb4 12.Ld2 Lxc3 13.Sxc3 0–0
14.Sxd5! exd5 15.Dxd5 Sc6 16.Dc5 Db7 17.f3 Dxb2 18.Dc3 Db5 19.Kf2 Td8 20.Thc1 1–0
Was die Großmeister so nebenbei beim Beobachten der Kollegen so mitbekommen – und dann auch nicht vergessen!
Wir waren somit wieder dran. Doch dann kam mein „Zitterer“, mit dem ich den Hofheimer unfreiwillig die Tür zum 4:4 weit öffnete:
F. Zeller (2371) – A. Armbruster (2306)
Nach 22. …f4
Mein Gegner hatte eine Figur geopfert, was optisch sehr gefährlich aussah, aber aus mehreren Gründen einfach inkorrekt war.
23.Sxd5! Der entscheidende Gegenschlag. Wichtig ist, dass Weiß sogleich Se7+ nebst De5+ droht, weshalb Schwarz seinen Angriff nicht mehr mit ruhigen Zügen verstärken kann.
23. …fxg3+ 24.Ke1 Selbst 24.Kxg3 gewinnt, aber dafür müsste man ein Dutzend Schachgebote über sich ergehen lassen. Das lässt nur ein Rechner emotionslos zu. Ich aber fühlte die Zeitnot!
24. …Se6 24…Txf1+ 25.Kxf1 Dxh3+ 26.Ke1 Tf8 27.Se7+
25.Se7+! Kf8 25…Kh8 26.De5+
26.Sf5+ Ich wußte, dass 26.Dd6! gewinnt, nach …Txe7 habe ich Qual der Wahl zwischen 27.Tc7, 27.Dxa6 und 27.Sxg3 Lxf1 28.Sf5. Doch in Hinblick auf meine Uhr wollte ich die Damen möglichst schnell vom Brett bekommen.
26…Sxc5 27.Sxh6 Sd3+ 28.Kd2 Tf2
29.Tc7? Ich beabsichtigte eigentlich 29.Sg4, war mir aber nicht sicher, ob ich nach 29. …Sxc1 30.Sxf2 Lxe2 31.Lxe2 Sxe2 die Mehrfigur halten würde – es gelingt nach 32.Sxe4. Da entdeckte ich den Turmzug auf die 7. Reihe, was sehr gut aussah, und zog es schnell. Doch das verliert fast den gesamten Vorteil. Völlig ignorierte ich 29.Tc6!, was den aktiven Läufer befragt. Falls dann 29. …Lc8, ist 30.Tc7!! wirklich gut (im Gegensatz zur Partie): 30. … g2 31.Lxg2 Txg2 32.Tf1+ Ke8 33.Tff7 und Weiß gewinnt im Mattangriff.
29. …g2 30.Lxg2 Txg2
31.Tf1+?? Sieht der Patzer ein Schach! Richtig war 31.Txh7, wenngleich nach …Tc8 Schwarz nicht chancenlos dasteht.
31…Sf4!! Ein furchtbarer Schock! Meine Zeit lief ab, während sich die Position plötzlich völlig wandelte.
Das Bild zum Zug 31. …Sf4!! – ich stehe unter Schock, die Haller Schlachtenbummler zittern…
32.exf4 Txe2+ 33.Kd1 Txa2 34.Te1 Ld3! 35.Tf7+ Ke8 36.Txh7
36…gxf4!! Beinhart! Wenn ich den Ta8 klaue, folgt …e3 und mein König steht auf Matt. Auf meiner Uhr liefen die letzten Sekunden `runter, ich war verzweifelt und probierte noch in der Hoffnung auf ein Dauerschach…
37.Sf5 Ta1+ 38.Kd2 Ta2+ 39.Kd1 Er hat auch noch den Luxus, die Züge zu wiederholen. Mittlerweile war mir klargeworden, dass ich nach 39. …e3 aufgeben müsste! Mein Gegner zauderte, und als auf seiner Uhr auch die letzten Sekunden abliefen, kam er auf die Idee, die Züge nochmal zu wiederholen, zweimal darf man ja, oder?!
39. …Ta1+? 40.Kd2 Ta2+ Hier hielt ich die Uhr an, und holte den Schiedsrichter herbei. Mit 41.Kd1, so meine Argumentation, könne ich zum dritten Mal dieselbe Stellung herbeiführen. Wir überprüften das nochmal, doch mein Gegner fügte sich recht schnell. ½–½
Hinterher klärten uns die Kollegen auf, dass die Rechner bereits +10 für Schwarz verkündeten…
Ein extrem wichtiger halber Punkt wurde Hall damit „geschenkt“. Durchschnaufen!
Nun musste „nur“ noch Viktor gewinnen. Er hatte einen Bauern für den Angriff geopfert. Und der Mann mit Nerven wie Drahtseile – eben ein echter Stoiker (Viktor studiert ernsthaft Philosophie in Prag) – verwandelte zielsicher zum 4,5-Sieg:
V. Laznicka (2654) – D. Lobzhanidze (2432)
Nach 36. …Sh5
37.g4! Nicht ganz trivial, weil Weiß auch seine Königsstellung entblößen muss.
37. …f6 38.Ld5+ Kh8 39.Se6 Dd6? Ein unmerklicher Fehler, wie sich einige Züge später herausstellen wird. Richtig war 39. …Dd7!, und bei 40.Sf4 Kg7 41.gxh5 g5 42.Dg3, analog zur Partie, so hat Schwarz …Kh8!=
40.Sf4 Kg7 41.gxh5 g5 42.Dg3
42. …Kh6 Jetzt wird es offenkundig. 42. …Kh8 scheitert hier an 43.Sg6+ Sxg6 44.Dxd6. Deshalb stand die Dame auf d7 richtig. Meist sind es solche Feinheiten, die den Unterschied machen.
43.Le4 Dd4 44.Dg2 1–0
Matchwinner Viktor L.
Puh, ein hartes Stück Arbeit mit einigen Dramen. Aber geschafft, noch liegen wir „auf Kurs“ und freuen uns auf das nächste Heimspiel gegen Bremen und Mülheim, das am 8. Und 9. Dezember stattfinden wird!